Lavinia war mit „YouthBridge“ in New York, Philadelphia und Washington. „YouthBridge“ ist ein Leadership-Programm der Europäischen Janusz Korsak Akademie für junge, motivierte und politisch engagierte Menschen mit Migrationshintergrund. Bei dem Austausch „Mission possible: Über Antisemitismus laut reden, stark argumentieren“ beschäftigte sie sich intensiv mit dem Nahostkonflikt sowie den geschichtlichen Hintergründen und diskutierte mit anderen jungen Menschen über das Thema Antisemitismus. Was sie dabei gelernt hat und was sie in den USA überraschte, erzählt sie hier.
Was hat dich motiviert, an dem USA-Austausch teilzunehmen?
Dafür gab es mehrere Gründe: Zum einen wollte ich schon immer nach New York. Zum anderen hat mich das Thema der Bildungsreise, nämlich Antisemitismus, sehr interessiert. Außerdem sind Reisen mit „YouthBridge“ immer etwas ganz Besonderes. Denn man nimmt an einem Programm mit zahlreichen Referenten teil, die einem richtig viel Input geben. Das war bereits meine zweite Bildungsreise mit „YouthBridge“. Durch die Förderung der Stiftung war der Preis für die Reise zudem unschlagbar. Für das Geld käme man sonst niemals in die USA.
Wie habt ihr euch auf den Aufenthalt vorbereitet, insbesondere in Bezug auf das Thema Antisemitismus?
Wir haben im Vorfeld mit vielen Experten gesprochen und uns intensiv mit der Definition des Begriffes „Antisemitismus“, dem Nahostkonflikt und den geschichtlichen Hintergründen auseinandergesetzt. Außerdem haben wir in Probe-Sessions das Debattieren geübt. Dabei mussten wir auch aus israelkritischen Positionen heraus argumentieren, die extrem formuliert waren. Unser Ziel war es, in den USA mit anderen Menschen zu diskutieren und uns stark gegen Antisemitismus zu machen.
Was hat dich überrascht?
An der University of Pennsylvania haben wir jüdische Studentinnen und Studenten getroffen, die selbst mit Antisemitismus konfrontiert waren und sich auf dem Campus teilweise unsicher gefühlt haben und dennoch mit Menschen ins Gespräch gegangen sind, die bei Pro-Palästina-Camps waren. Und andersherum. Mein Bild von den USA war, dass es dort zwei politische Gegenpole gibt und Menschen nicht miteinander reden können, wenn sie unterschiedliche Meinungen haben. Doch wir haben viele Leute getroffen, die bereit waren, aufeinander zuzugehen. Das hat mich überrascht. Außerdem war ich erstaunt, wie differenziert sich die Studierenden in Bezug auf den Konflikt äußern konnten.
Man darf einer anderen Person nicht den Respekt absprechen, nur weil man ihre Meinung nicht teilt.
Ich habe durch den Austausch gelernt, dass es wichtig ist, sich mit Personen zu unterhalten, die eine andere Meinung haben als man selbst. Es muss ein Fundament geben, auf dem beide miteinander diskutieren können. Denn Probleme lassen sich nicht lösen, wenn sich Personen in Lager aufspalten und man dann schaut, wer der Stärkere ist. Am Ende des Tages geht es darum, dass wir als Menschen gut zusammenleben können.
Auch in unserer Gruppe gab es unterschiedliche Meinungen. Nach Veranstaltungen oder Vorträgen haben wir immer wieder miteinander diskutiert. Auf einer gemeinsamen Reise ist man gezwungen, dennoch friedlich miteinander umzugehen und zu reden. Man darf einer anderen Person nicht den Respekt absprechen, nur weil man ihre Meinung nicht teilt. Ich habe gelernt, wie ich kommunizieren und debattieren kann, um mit anderen Leuten im Austausch zu bleiben und wie wichtig es ist, sich nicht voneinander abzukapseln.
Was war in den USA anders als in Deutschland?
Die Art der Kommunikation. Das fing schon am Flughafen an. Dort hat die Mitarbeiterin mich gefragt, wie es mir geht und mich „Sweetie“ und „Honey“ genannt. Wir Europäer sind viel direkter und reden nicht so viel drumherum. Die Amerikaner suchen zudem viel mehr das Gespräch als wir. Für mich hat das aber nicht ehrlich gewirkt. Wenn ich dort leben würde, wüsste ich nie, wer die Wahrheit sagt und wer mich anlügt. Die Amerikaner lassen nicht richtig durchblicken, was sie wirklich von einem wollen.
Was war das Highlight während deines USA-Austauschs?
Mein Highlight war das Gespräch mit Alivia Roberts, der ehemaligen Assistentin von US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Nur vier Leute aus unserer Gruppe waren dabei, deshalb war das ein sehr intimes Gespräch. Ihr zuzuhören war inspirierend und ich habe einige Tipps mitgenommen.
Ihre wichtigste Empfehlung war, flexibel zu bleiben und auch mal den Plan zu ändern, den man für sein Leben hatte. Alivia Roberts wollte ursprünglich Journalistin werden, doch dann bekam sie das Angebot, bei der Kampagne von Kamala Harris mitzuwirken und ergriff die Chance.
Wie hat sich dein Blick auf die USA durch den Austausch geändert?
Ich muss sagen, dass ich vorher schon nicht der größte USA-Fan war. Aber der Austausch hat mein Bild nochmal verschlechtert. Es war schockierend zu sehen, wie sehr sozialstaatliche Strukturen fehlen.
Den „American Dream“ kann vielleicht einer von einer Million Menschen verwirklichen. Für die meisten Menschen bleibt der Traum unerreichbar.
Positiv überrascht haben mich dagegen die Communitys, die in USA ganz anders funktionieren als in Deutschland. Wir waren zum Beispiel bei einer Nachbarschaftsfeier in Harlem, wo hauptsächlich schwarze Menschen wohnen. Dabei ging es nicht nur darum, zusammenzukommen und Spaß zu haben, sondern auch darum Menschen zu ernähren, die sonst nichts zu essen haben. Den „American Dream“ – vom Tellerwäscher zum Millionär – kann vielleicht einer von einer Million Menschen verwirklichen. Für die meisten Menschen bleibt der Traum unerreichbar. Mir ist eine Krankenversicherung wichtiger, als dass ich Millionärin werden kann.
Denkst du jetzt anders über das Thema Antisemitismus?
Ich bin auf jeden Fall sensibler geworden. Erst gestern saß ich an der U-Bahn-Station und höre zwei Jungs reden. Der eine hat wohl das Handyspiel verloren und sagt, dass das Spiel von Juden kontrolliert wird. Früher hätte ich gar nicht so genau hingehört oder nicht gewusst, was er meint. Nun weiß ich, dass dahinter die Ideologie einer jüdischen Weltverschwörung steckt.
Ich merke, wie verbreitet Antisemitismus auch unter Menschen in meinem Alter ist und wie schnell manche Leute Juden als Sündenbock für alles nehmen. Und ich kann besser erklären, warum etwas antisemitisch ist. Das macht es leichter, anderen Leuten zu vermitteln, warum sie bestimmte Sachen nicht sagen sollten und welche Konsequenzen das haben kann.