Israa Kretschmer begleitete 2023 erstmals ehrenamtlich den Austausch „USA for you“. Im Programm verbringen Münchner Mittelschüler zwei Wochen im US-Bundesstaat Michigan, wo sie bei Gastfamilien leben und in gemeinnützigen Projekten mitarbeiten. Im Interview spricht die Studentin über ihre Motivation und die Herausforderungen, die ihr und den Jugendlichen in den USA begegneten.
Wie bist du zu deinem Ehrenamt beim Deutschen Youth for Understanding Komitee e. V. gekommen (YFU)?
Ich machte 2016/2017 selbst einen Austausch mit YFU nach Finnland. Damals war ich in der 10. Klasse. Das begeisterte mich so, dass ich direkt danach ehrenamtlich bei der Organisation einstieg.
Was motivierte dich, „USA for you“ als Ehrenamtliche zu begleiten?
Das Programm begeistert mich, weil es sich gezielt an Mittelschülerinnen und -schüler in München richtet. Das Thema Chancengleichheit liegt mir persönlich sehr am Herzen. Viele Jugendliche wissen nichts von den Möglichkeiten eines Austauschjahrs oder -halbjahrs. An Mittel- und Realschulen ist das bislang kein Thema. Das war bei mir am Gymnasium anders. Meine Schule lud damals alle gemeinnützigen Organisationen im internationalen Jugendaustausch zu einem Infoabend ein. So wurde ich auf YFU aufmerksam. Außerdem können sich viele ein Auslandsjahr ohne finanzielle Unterstützung, etwa durch Stipendien, nicht leisten.
„USA for you“ ist dank Förderern wie der Stiftung vollständig finanziert. Es ist für alles gesorgt, die Teilnehmenden brauchen nur etwas Taschengeld für Ausgaben vor Ort. Das Programm eröffnet jungen Menschen die Chance auf einen Auslandsaufenthalt, die diese sonst aus verschiedensten Gründen nicht hätten. Vor Ort arbeiten sie in gemeinnützigen Projekten mit („Community Service“) und bekommen so die Möglichkeit, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben.
Mir ist es wichtig, das Vorurteil zu widerlegen, ein Auslandsaufenthalt sei nur etwas für Gymnasiasten. Auch Mittelschüler können von internationalen Erfahrungen profitieren. Ich möchte ihnen zeigen, dass es auch für sie Wege gibt.
„Mir ist es wichtig, das Vorurteil zu widerlegen, ein Auslandsaufenthalt sei nur etwas für Gymnasiasten. Auch Mittelschüler können von internationalen Erfahrungen profitieren.“
Hast du einen persönlichen Bezug zur Zielgruppe des Programms?
Ich war zwar nicht auf einer Mittelschule, aber ich stamme aus einer Nicht-Akademiker-Familie. Meine Eltern haben beide nicht studiert, mein jüngerer Bruder hat eine Ausbildung gemacht. Das Konzept Schüleraustausch war für meine Eltern neu. Ich musste sie erstmal überzeugen, mich für ein Schuljahr ins Ausland gehen zu lassen. Außerdem habe ich Migrationsgeschichte, wie viele der Teilnehmenden bei „USA for you“. Ich bin halb Tunesierin. Vor meinem Aufenthalt in Finnland hatte ich immer das Bedürfnis, deutsch zu sein, meine tunesische Identität abzulegen und mich am besten gar nicht damit zu befassen. Seit meinem Jahr in Finnland denke ich ganz anders – die tunesische Kultur ist ein Teil von mir.
Diese Erfahrung hat mich stark geprägt. Auch bei „USA for you“ steht die persönliche Entwicklung im Mittelpunkt. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus dem eigenen Umfeld heraus, sammeln neue Erfahrungen und können herausfinden, was ihnen liegt, ohne von ihren Freunden beeinflusst zu werden.
Was sind deine Aufgaben als Reisebegleitung?
Die meisten Aufgaben stehen vor der Abreise an, etwa die Begleitung des Kennenlerntreffens im Juli. An diesem Nachmittag begegnen sich die Teilnehmenden zum ersten Mal. Ende September gibt es dann ein Vorbereitungswochenende auf der Burg Schwaneck in Pullach. Hier bereiten wir die Jugendlichen auf die Reise vor. Wir besprechen, was sie tun können, um sich in ihrer Gastfamilie einzuleben und reden über Programminhalte und den „Community Service“.
Ein Fokus liegt auf dem Teambuilding, also darauf, dass die Teilnehmenden als Gruppe zusammenwachsen. Das ist entscheidend, weil wir in den USA die meiste Zeit zusammen verbringen. Da kann es schon mal zu Konflikten kommen. Diese lassen sich leichter lösen, wenn man als Team funktioniert. Vor Ort unterstützen wir die Jugendlichen hauptsächlich emotional. Wir vermitteln bei Problemen in der Gastfamilie oder bei Streit in der Gruppe. Es sind immer zwei Reisebegleiter dabei.
„Der Fokus liegt auf dem Teambuilding. Die Teilnehmenden sollen als Gruppe zusammenwachsen.“
Was waren während der Zeit in den USA die größten Herausforderungen für dich?
Meine erste Reisebegleitung 2023 war auch mein erstes Mal in den Vereinigten Staaten. Deswegen war für mich die größte Herausforderung, dass ich das Land, die Region und die Kultur selbst erst kennenlernen musste. Nordamerika ist anders als Europa.
Als Erstes ist mir aufgefallen, dass man in Michigan nirgendwohin kommt, wenn man kein Auto hat. Ich hätte nicht zum Supermarkt spazieren können, weil es die Infrastruktur dafür schlichtweg nicht gibt. Oftmals fehlen die Bürgersteige und die Wege sind zu weit zum Laufen. Meine Gastfamilie musste mich überall hinfahren.
Das war auch für die Münchner Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung. Sie sind es gewohnt, am Nachmittag mit ihren Freunden loszuziehen. Doch in den USA erwarten die Gasteltern, dass sie rechtzeitig vorher informiert werden. Das dient vor allem der Sicherheit. Es gab Konflikte, weil die Jugendlichen ihren Gasteltern nicht rechtzeitig Bescheid gesagt oder an ihnen vorbeigeredet hatten.
Außerdem musste ich mich erst auf die andere Art der Kommunikation einstellen. Das „Hey, how are you doing?“ beim Betreten jeden Ladens war eine große Umstellung für mich. Es fiel mir schwer, immer zu antworten, um nicht unhöflich zu wirken.
Was war dein Highlight?
Die gesamte Austauscherfahrung von Anfang bis Ende zu begleiten. Das hatte ich vorher nie. Ich habe die Teilnehmenden vor oder nach ihrem Austausch gesehen, vielleicht auch beide Male, aber ich war nie komplett dabei. Ich fand es schön, den gesamten Prozess zu erleben und die Entwicklung zu sehen.
Es war ein Schüler dabei, der zu Beginn sehr schüchtern war und kaum etwas mit den anderen machte. Doch beim „Community Service“ im Park – wir mussten einen Weg von Ästen, Bäumen und Sträuchern befreien – blühte er komplett auf. Auch Wochen danach sprach er noch davon. Entwicklungen konnte ich auch in der Gruppe beobachten. Es gab Jugendliche, die am Anfang gar nicht miteinander sprachen und am Ende eng befreundet waren.
Ein Schüler erzählte bei seiner Abschlusspräsentation, sein Highlight sei das Kekse-Backen mit der Gast-Oma gewesen. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas Alltägliches ein Highlight sein könnte. Aber es zeigt, wie wertvoll die zwischenmenschlichen Beziehungen bei solchen Begegnungen sind.
Besonders toll finde ich es, wenn sich Teilnehmende nach „USA for you“ dafür entscheiden, ein ganzes Jahr ins Ausland zu gehen. In den letzten zwei Jahren haben sich acht Ehemalige für ein Auslandsjahr entschieden, die meisten in den USA. Eine Teilnehmerin ging für ein Jahr nach Brasilien, obwohl sie kein Portugiesisch konnte. Sie ist jetzt sehr glücklich mit ihrer Entscheidung.
„Es ist wichtig, Andersartigkeit nicht abzuwerten, sondern als Bereicherung zu sehen.“
Welchen Tipp hast du für andere, die selbst ehrenamtlich einen Jugendaustausch begleiten wollen?
Seid offen, Neues zu lernen. Vor meiner ersten Reisebegleitung sprachen wir mit den Jugendlichen darüber, warum die Anpassung an ein neues Umfeld entscheidend ist. Und dann merkte ich in den USA, dass ich selbst manchmal Schwierigkeiten hatte, mich in Hinsicht Politik darauf einzulassen. Ich bin nämlich ein sehr politischer Mensch. Manchmal musste ich mich bremsen, meine Worte sorgfältiger wählen oder einfach zuhören, bevor ich etwas sagte. Denn ich wollte natürlich niemanden vor den Kopf stoßen und auch nicht belehrend wirken. Das war eine wertvolle Erfahrung für mich. Es ist wichtig, Andersartigkeit nicht abzuwerten, sondern als Bereicherung zu sehen.