Sozialarbeiterin Tanja Kämmerle steht vor einem Spielplatz
„Beim Fachkräfteaustausch lernte ich, wie ich mit Schülern über Krieg sprechen kann“
Tanja Kämmerle
Israel
Jugendsozialarbeiterin an der Goethe-Grundschule Gersthofen

Beim bayerisch-israelischen Fachkräfteaustausch an der JuBi Babenhausen tauschten sich Jugendsozialarbeiterinnen und Schulpsychologen beider Länder über Herausforderungen in diversen Gesellschaften, die gemeinsame Geschichte und die Prävention von Antisemitismus aus. Wir förderten den Austausch im Programm „Kontakt halten“. Teilnehmerin Tanja Kämmerle erzählt, was sie bewegte und welche Erkenntnisse sie für ihre Arbeit mitnimmt.

Was motivierte Sie, am bayerisch-israelischen Fachkräfteaustausch teilzunehmen? 

Internationaler Austausch begeistert mich seit meinem Schüleraustausch mit England in der 9. Klasse. Daran habe ich sehr gute Erinnerungen. Außerdem bin ich von Natur aus neugierig – auf andere Blickwinkel, Kulturen und Herangehensweisen.

Wie beschäftigen Sie die Themen multikulturelle Gesellschaften und Antisemitismusprävention in Ihrem Arbeitsalltag?

Ich arbeite seit 15 Jahren in der Jugendsozialarbeit für den freien Jugendhilfeträger St. Gregor-Jugendhilfe Augsburg. An der Goethe-Grundschule in Gersthofen begleite ich alle Schülerinnen und Schüler, besonders die beeinträchtigten und benachteiligten. Dort lernen Kinder aus Familien mit Wurzeln in 22 Ländern. Wir sind also definitiv multikulturell.

Diskriminierung und Antisemitismus erleben wir immer wieder. Schulen spiegeln nun mal die Gesellschaft wider. Was es dort gibt, zeigt sich auch bei uns.

Was war Ihr persönliches Highlight während des Austauschs?

Das Programm bot eine gute Mischung aus Vorträgen, Ausflügen und Freizeit. Es war sehr intensiv – manchmal ging es von acht Uhr morgens bis 20 Uhr abends.

Mein Highlight waren die Gespräche mit den israelischen Kolleginnen und Kollegen. Wir waren eine sehr offene Gruppe. Sie bestand aus zwei deutschen Teilnehmerinnen und zehn israelischen Teilnehmern – neun Frauen, ein Mann. Wir tauschten uns viel über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Länder aus. Gegen Ende des Austauschs sprachen wir vermehrt über den Holocaust. Es war das schwierigste Thema, für das die Gruppe erst Vertrauen aufbauen musste.

Eine Teilnehmerin erzählte, sie hätte sich geschworen, nie nach Deutschland zu reisen, weil ihre Familie vom Holocaust betroffen war. Doch jetzt sei sie froh, ihre Meinung geändert zu haben, weil wir nette Menschen seien. Das hat mich sehr berührt.

Die Kommunikation während des Austauschs ist entspannter, wenn keine Muttersprachler dabei sind.

Welche weiteren Situationen bewegten Sie?

Mich beeindruckte, wie flexibel die Israelis sein müssen. Während des Austauschs erfuhren wir, dass in der Nähe des Flughafens Tel Aviv eine Bombe eingeschlagen war. Daraufhin stellten alle ausländischen Fluggesellschaften die Flüge ein, nur noch israelische flogen. Die israelischen Fachkräfte mussten schnell umbuchen, um nach Hause zu kommen. Der Fachkräfteaustausch endete daher einen Tag früher.

Für sie war das völlig normal: „Eine Bombe, das passiert.“ Israelis müssen ständig spontan reagieren. Sie planen etwas, aber es kommt ohnehin anders. Ich bin froh, dass wir solche Situationen in Deutschland nicht haben.

Wie funktionierte die Kommunikation mit den israelischen Fachkräften?

Wir kommunizierten auf Englisch und das funktionierte gut. Es ist entspannter, wenn keine Muttersprachler dabei sind. Mein Englisch ist gut, jedoch kenne ich die Fachbegriffe nicht. Das war aber kein Problem, denn alle suchten nach den richtigen Ausdrücken. Muttersprachler wären da vielleicht ungeduldig geworden.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie vom bayerisch-israelischen Fachkräfteaustausch mit?

Zunächst: Es gibt nicht „die Israelis“, es sind individuelle Menschen mit unterschiedlichen Meinungen. Theoretisch wusste ich das, trotzdem fühlte es sich wie eine homogene Masse an, repräsentiert durch Benjamin Netanjahu. Es bewirkt viel, Menschen aus dem Land persönlich kennenzulernen. Ich weiß jetzt, dass Israel gespalten ist, wie viele andere Länder derzeit. Es gibt Befürworter und Gegner Netanjahus. Ich nehme vor allem diese Erkenntnis mit und – als wichtigstes Element jeden Austauschs – die persönlichen Kontakte. 

Außerdem lernte ich in einem Impulsvortrag eine Methode, um mit meinen Schülern über Kriege und internationale Konflikte zu sprechen. In Israel betrifft der Krieg alle direkt, daher ist das Thema dort zentral. An unserer Grundschule beschäftigt uns vor allem der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Wir haben Schülerinnen und Schüler aus beiden Ländern. Es kann also passieren, dass Kinder aus verfeindeten Gegenden in eine Klasse gehen. Die wichtigste Erkenntnis: Es ist gut, über kleine, konkrete Geschichten und die damit verbundenen Gefühle zu sprechen. Über Fakten kann man streiten, über Gefühle nicht. Dieses Wissen kann ich gut in meiner Arbeit umsetzen.

Es gibt nicht ‚die Israelis‘, es sind individuelle Menschen mit unterschiedlichen Meinungen.

Halten Sie noch Kontakt zu den israelischen Austauschpartnern?

Ja, wir sind über eine WhatsApp-Gruppe in Kontakt. Normalerweise mag ich solche Gruppen nicht, aber in diesem Fall finde ich sie wertvoll. Wenn in Israel etwas passiert, kann ich schnell nachfragen, ob es allen gut geht. Außerdem hoffe ich, dass unser Rückbesuch in Israel im März 2026 stattfinden kann. Ich möchte gerne meine Bekannten besuchen, die zum Teil Freunde geworden sind.